„Vielfalt ist uns wichtig. Vielfalt ist etwas Positives! Wir wollen das im Unternehmen leben.“
Das höre ich oft von Verantwortlichen aus der Kommunalwirtschaft. Auf vielen Arbeitgebermarke- oder Karrierewebseiten liest man den Satz „Wir leben Vielfalt.“ So weit, so erfreulich. Viele Unternehmen betonen, dass Vielfalt und Antidiskriminierung wichtig sind – aber was bedeutet es, sie wirklich im Arbeitsalltag zu leben? Nachfragen zeigen oft: Was damit gemeint ist oder anhand welcher Kriterien alle das erkennen können, ist unklar.
In meinen Trainings freue ich mich über alle Führungskräfte, die sagen: „Wir dulden keine Diskriminierung.“ Das ist wichtig und gut. Nicht selten herrscht aber Unsicherheit darüber, was Diskriminierung eigentlich ist und vor allem, wie man professionell mit ihr umgeht.
Denn die großen Wörter Vielfalt und Antidiskriminierung sind nicht so leicht zu fassen. Die Beraterin in mir möchte deshalb Perspektiven geben.
Vielfalt und Antidiskriminierung gehören zusammen
Aus fachlicher Sicht gehören Diversität und Antidiskriminierung untrennbar zusammen. Wer Vielfalt leben will, muss sich ernsthaft mit Antidiskriminierung auseinandersetzen.
Wenn wir von Diversität sprechen, geht es um unterschiedliche Menschen, verschiedene Geschlechter, Herkünfte, Fähigkeiten und Generationen, die miteinander arbeiten. Das beinhaltet, dass Menschen mit besonderen Merkmalen, aus Minderheiten oder die nicht der vorfindlichen Norm entsprechen, arbeiten können, ohne durch Diskriminierung gestört oder belastet zu werden. Selbstverständlichkeiten eigentlich.
Um das zu erreichen, braucht es einen professionellen Umgang mit Diskriminierung – nicht nur zwischen Menschen, sondern auch auf institutioneller Ebene. Denn wir wissen heute: Diskriminierung braucht keine böse Absicht. Sie geschieht auch unabsichtlich und innerhalb von Organisationsstrukturen. Durch Privilegien und nicht erkannte Vorteile können wir Dynamiken übersehen, die diskriminierende Effekte haben.
Ein Beispiel: Weil die meisten Mitarbeitenden im technischen Bereich Männer sind, fällt der Beschaffungsabteilung erst sehr spät auf, dass Frauen keine adäquate Arbeitskleidung bestellen können. Das hat niemand böse gemeint, es entspricht einer durch die Mehrheit dominierten Sicht auf die Arbeitswelt. Ein aktuelles Diskriminierungsverständnis hilft, das zu erkennen.
Werkzeuge, um mehr Vielfalt in die Organisation zu bringen
Das muss aber nicht so bleiben! Dafür gibt es ein paar Werkzeuge aus unserem Beratungskoffer, die helfen, Vielfalt im Unternehmen und Team noch mehr zu leben:
Werkzeug 1: Das Positive stärken
In meiner Arbeit als Beraterin zu Veränderungsprozessen möchte ich das Positive stärken und das Vorhandene wertschätzen. Niemand fängt bei null an. Es gibt immer schon Verhalten, das Vielfalt im Team stärkt. Dieses Verhalten gilt es herauszuarbeiten. Im Kulturwandelprojekten arbeite ich daher aktiv mit den Werten eines Teams. Diese Wertschätzung für bereits vorhandene positive Aspekte stärkt die Zusammenarbeit und das Vertrauen im Team. Zum Beispiel kann man gemeinsam herausarbeiten, wie die Integration neuer Mitarbeitender und die Erweiterung des Teams bisher gelungen ist und was man daraus für die Zukunft (jünger, weiblicher, queerer, migrantischer!?) lernen kann. Diese Arbeit kann sowohl im Rahmen eines Teamworkshops als auch in regulären Teammeetings platziert werden.
Werkzeug 2: Weiterbilden und fehlerfreundliches Verlernen
Vielfalt ist ein Wissensthema. Dazu gehört ein im professionellen Kontext anschlussfähiges, praxisnahes Verständnis von
- Mikroaggressionen
- verschiedenen Gewalt- und Eskalationsstufen
- Alltagsrassismus
- Alltagssexismus
- Diversitätsdimensionen.
So lassen sich informierte Entscheidungen treffen und unangemessene Verhaltensweisen erkennen sowie adressieren. Verantwortungsvolle Führungskräfte kennen und nutzen diese Begriffe, wenn nötig. Ein fehlerfreundliches Hinweisen und Verlernen von Vorurteilen und Klischees kann eingeübt werden. Als Mitarbeiter*in kann ich mich im Team darauf beziehen: „Wir leben Vielfalt und das heißt, dass dieses Verhalten nicht okay ist.“
Werkzeug 3: Die Rote Linie erarbeiten
Die „Rote Linie“ verdeutlicht, welches Verhalten nicht toleriert wird. Wichtig ist die Frage: Wo müssen wir strikt sein? Was wird im Team nicht akzeptiert?
Es geht darum, festzulegen, dass übergriffige Handlungen, sexistische Witze oder diskriminierende Kommentare nicht geduldet werden. Das klingt selbstverständlich, meine Erfahrung ist aber, dass das konkrete und greifbare Beispiel („die ungefragte Umarmung“, „der Witz über Frauen in der Technik“) den Unterschied beim gemeinsamen Verständnis macht. Diese Grenze schafft Orientierung für alle im Unternehmen und gibt Sicherheit für (potenziell) Betroffene.
Werkzeug 4: Ansprech- und Beschwerdestrukturen etablieren
Neben Regeln des Miteinander sind funktionierende Ansprech- und Beschwerdestrukturen entscheidend: An wen können sich Führungskräfte und Mitarbeiter*innen im Falle von Diskriminierung wenden? In meiner Beratung erlebe ich oft, dass solche Strukturen fehlen oder nicht ernst genommen werden. Um Diskriminierung wirksam zu begegnen, müssen diese Stellen professionell arbeiten, mit geschultem Personal, das die nötigen Eskalationsstufen kennt (bitte nicht einfach eine Person, die sich bei der Frage „Wer wird AGG-Ansprechperson?“ nicht geduckt hat). Die Ansprechstelle kann auch Führungskräfte beraten, welche Eskalationsstufen es gibt oder welche arbeitsrechtlichen Maßnahmen wann greifen.
Vielfalt feiern, Diskriminierung klar benennen
Vielfalt zu leben bedeutet, Unterschiede und Heterogenität wertzuschätzen und gleichzeitig eindeutige Grenzen zu setzen. Eine inklusive Kultur braucht klare Regeln und Strukturen, die Diskriminierung verhindern. Diese bauen auf den gesetzlichen Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf, gehen aber im besten Fall noch darüber hinaus und haben ein angenehmes, professionelles Miteinander im Blick.
„Vielfalt leben“ wird so konkret. „Vielfalt leben“ traut sich, die realen Herausforderungen im Team und in der Organisation zu bearbeiten. Und kann damit mehr sein als Symbolpolitik oder ein schöner Slogan.