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Vorurteile machen krank

Geschrieben von Caroline Günther | 15.11.2021

Mehr als jeder zweite Mensch in Deutschland ist von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen. Menschen, die Diskriminierung erfahren, haben 2-3-mal so oft Burn-Out, Migräne, Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen und Magen-Darm-Erkrankungen wie Nicht-Diskriminierte. Zu diesen Ergebnissen kommt eine repräsentative Studie der IKK classic. Die Studie analysiert und verdeutlicht erstmals die Zusammenhänge zwischen Diskriminierungserfahrungen und den Auswirkungen auf die Gesundheit.

„Auch wenn es erschreckend ist, haben mich diese Ergebnisse nicht überrascht. Wenn sich ein Mensch im Unternehmen wohl fühlt, geht es ihm besser“, sagt Julia Urbatzka, Verantwortliche für betriebliches Gesundheitsmanagement, Personalwesen bei der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg GmbH. Die emotionale Stabilität eines Menschen zeige sich, laut Urbatzka, häufig im körperlichen und andersherum.

Vorurteile als Problem im Arbeitsalltag

Unser Gehirn denkt in Schubladen, das ist ganz natürlich. Alle Menschen haben Vorurteile. Doch nicht einmal 38 Prozent sind sich ihrer eigenen Vorurteile, laut der Studie, bewusst. Auffällig ist, dass vor allem sogenannte Mikroaggressionen – wie zum Beispiel Tuscheln oder verächtliche Blicke – unterschätzt werden. Die Betroffenen leiden sehr darunter. Die Täter*innen unterschätzen, wie sehr sie andere Menschen mit diesem Verhalten verletzen. Vorurteile und daraus folgende Diskriminierung sind nicht nur ein soziales, sondern auch ein gesundheitliches Problem. Die Folgen dieser Erfahrungen führen zu körperlichen und seelischen Symptomen: Diskriminierte fühlen sich unsicher und hilflos – empfinden nicht selten sogar Scham und Schuldgefühle.

Betriebliches Gesundheitsmanagement und Diversity Management zusammendenken

Unternehmen sollten das nicht hinnehmen. Sie können die Betroffenen unterstützen und alle anderen Mitarbeitenden sensibilisieren. Für die Organisationsentwicklung kann es daher Sinn machen, Anti-Diskriminierung und betriebliches Gesundheitsmanagement miteinander zu verzahnen. „Zum einen ist es das Ziel, durch Diversity Management ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Sollte es doch Probleme geben, ist es die Aufgabe des betrieblichen Gesundheitsmanagement, für die betroffenen Menschen da zu sein – sie zu stärken“, sagt Urbatzka. Diskriminierungskritische Praxis ist aus jeder Position, jederzeit und überall möglich und jede Organisation kann sich diskriminierungskritisch öffnen. Beides sind andauernde Prozesse.

Das effizienteste Mittel gegen Vorurteile ist der Kontakt und die persönliche Interaktion mit Menschen der betreffenden Gruppen, also gelebte Diversität. Als grobe Regel gilt: Mindestens fünf Kontakte zu Menschen einer bestimmten sozialen Gruppe sind nötig, um den Einzelnen nicht als Ausnahme zu sehen und das Vorurteil abzubauen.

Wenn es mehr um die Psyche als um den Rücken geht

Erkrankungen und Arbeitsunfähigkeiten wegen psychischer Störungen haben zugenommen. Zwar nicht nur aufgrund von Diskriminierungserfahrungen, sondern auch aus persönlichen Gründen oder der Arbeit selbst. Die Folgen: Produktivitätsverlust und Fehlzeiten sowie damit verbundene Kosten. Liegen die Ursachen für eine psychische Belastung im Unternehmen, sollten Führungskräfte und Personalverantwortliche den Ursachen nachgehen, um Maßnahmen zu schaffen, die im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements umgesetzt werden können. Kaum ein Unternehmen kann heute darauf verzichten, sich mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu befassen.

Dabei lohnt es sich in vielfacher Hinsicht, mehr als das „Pflichtprogramm“ anzubieten: Erleben die Mitarbeitenden ihre Arbeitsgestaltung als sinnstiftend und fühlen sie sich gesehen, hat dies nachweislich gleichermaßen positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten wie auch auf die Bilanz des Unternehmens.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der November-Ausgabe 2021 der Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK).