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Kommunen und Landkreise: Pioniere der Klimaneutralität

Geschrieben von Henning Schulze | 20.10.2022

Klimaneutralität ab 2045 ist ein Muss. Für alle Kommunen und ihnen angehörige Unternehmen ist dieses Ziel verbindlich. Beispiele, wie das heute schon gelingen kann, gibt es reichlich. Denn einige Kommunen sind wahre Pioniere in Sachen Klimaneutralität und geben selbst der privaten Wirtschaft Vorbild und wichtige Impulse. Sie schaffen das mit hoher Transparenz, Moderation der Prozesse und rechtzeitiger Einbeziehung aller Stakeholder*innen.

Es geht bei den Pionieren der Klimaneutralität nicht um Größe – sowohl Großstädte als auch Mittelzentren sind dabei, ihre Liegenschaften, Mobilitätsangebote und Dienstleistungen klimaneutral umzuwandeln. Das betrifft auch Energie- und Wasserversorger, wenn sie in kommunaler Hand sind.

Augsburg

Augsburg nennt sein Klimaschutzprogramm Blue-City. Sieben Säulen sollen dem Programm den nötigen Halt geben. Einer ist der Ausbau der Infrastruktur, um allen Bürger*innen einen klimaneutralen Alltag zu bieten. Dazu gehören Net-Zero-Mobilitätsangebote, und eine klimaneutrale Fernwärmeversorgung. Die nötige erneuerbare Energie soll auf städtischen Flächen erzeugt werden. Beteiligt an der Ausarbeitung des Konzeptes waren nicht nur die zuständigen städtischen Ämter, sondern auch der Augsburger Klimabeirat, lokale Umweltverbände sowie die Bürger*innen der Fuggerstadt.

Rostock

Rostock setzt bei der Klimaneutralität auf Wasserstoff und klimaneutrale Wärme. Ein neuer 45 Millionen Liter Wasser fassender Wärmespeicher im Industriegebiet Marienehe speichert seit April 2022 grüne Wärme und stellt sie bei Bedarf bereit – erzeugt wurde die Wärme aus sonst abgeregeltem PV- und Windstrom. Aus dem Speicher könnte das Fernwärmenetz der Stadt zwei Tage komplett versorgt werden. Zukünftig soll für das Wärmenetz auch bis jetzt ungenutzte Abwärme aus dem Abwasser des Klärwerks und der Klärschlammverwertungsanlage verwendet werden. Gleichzeitig will die Stadt das Drehkreuz einer norddeutschen Wasserstoffwirtschaft werden – auch das ein Beitrag zum Erreichen der Klimaneutralität 2035. Gesteuert wird ein Teil dieser Prozesse vom CAMPFIRE-Bündnis, in dem sich Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen haben. Die vielen Stakeholder mit teils unterschiedlichen Ansätzen und Interessen werden dort umsichtig und zielgerichtet moderiert.

Stuttgart

Stuttgart will kurzfristig 100 Millionen Euro in die Klimaneutralität investieren. Das Geld soll in Photovoltaikanlagen sowie in andere Erzeugungskapazitäten von erneuerbarem Strom und Wärme fließen. Die Neckarmetropole will ebenfalls bis 2035 klimaneutral sein. Flankiert wird das Programm von zusätzlichen Mittel zum Austausch alter Ölheizungen sowie der Sanierung der Beleuchtungsanlagen. Gerade für den Heizungstausch ist eine umfassende Information und Moderation mit den Einwohner*innen nötig, bei der gezielt über Förderungen, technische Machbarkeiten und Einsparpotenziale informiert wird.

Haßfurt

Auch kleinere Kommunen streben nach Klimaneutralität. Das bekannteste Beispiel in Deutschland ist das unterfränkische Haßfurt mit 14.000 Einwohner*innen. Die Stadt und ihre Stadtwerke haben sich den Klimaschutz schon zu Zeiten auf die Fahne geschrieben, als der in vielen anderen Kommunen noch eine unbekannte oder ungeliebte Größe war. Inzwischen versorgt sich die gesamte Stadt weitgehend mit erneuerbaren Energien. Dafür sorgen PV- und Windkraftanlagen, Biomasse-Kraftwerke, Power to Gas, ein Wasserstoff-BHKW sowie hinreichende Speichermöglichkeiten. Das führte dazu, dass Haßfurt 208 Prozent seines eigenen Bedarfs an Energie produziert. Und das erneuerbar. Erst in diesem Jahr wurde ein Großspeicher mit einer Kapazität von zwei Megawattstunden und einer Leistung von zwei Megawatt errichtet.

Norbert Zösch, Geschäftsführer des Stadtwerks Haßfurt, kann zu Recht sagen, dass eine 100-prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien schon heute möglich ist. Inzwischen arbeitet die Stadt an smarten Konzepten, um die überschüssige Energie effizienter zu nutzen und gewinnbringend zu vertreiben. Haßfurt wurde auch deshalb als eine von bundesweit 13 Kommunen für die erste Staffel der Modellprojekte Smart Cities ausgewählt. Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) widmete der Kommune sogar eine eigene Fallstudie, die anderen als Vorbild dienen soll. Möglich wurde dies alles nur durch eine umfassende Kommunikation mit den Einwohner*innen. Sie wurden in alle – häufig auch sehr komplexen – Infrastrukturprojekte mit einbezogen und profitieren heute von stabilen Preisen für grüne Energie.

Landkreise

Auch die 294 Landkreise in Deutschland mit ihren 56 Millionen Bewohner*innen treiben ihre eigene Klimaneutralität voran. Dazu tragen auch Klimaschutzkonzepte bei, mit denen kleinere Städte und Gemeinden einbezogen werden, die in aller Regel nicht über eigene Mittel für solch ein Unterfangen verfügen. Kreisverwaltungen spielen etwa in den ländlichen Räumen eine koordinierende Rolle bei der kommunalen Wärmeplanung.

Ein wesentlicher Schwerpunkt bei allen Planungen ist die Akzeptanz der Bevölkerung. Diese profitiert weniger von den Vorteilen des Lebens in den großen Städten, muss aber mit Wind- und PV-Parks vor der Haustür die größte infrastrukturelle Last der Energiewende tragen. So birgt etwa die rechtlich erzwungene Ausweisung von Flächenpotenzialen für die Windenergie Konfliktpotenzial, das moderiert werden muss. Der Deutsche Landkreistag empfiehlt auch deswegen eine technologieoffene Förderung für Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Geothermie. Zudem sollen die Landkreise bei den Planungsverfahren digitaler werden, da sie nur so die nötigen Beteiligungsprozesse gewährleisten können.

Gerade für den ländlichen Raum gibt es ein sehr großes Potenzial für die Beteiligung der Bevölkerung, die weit über das übliche Einspruchsverfahren hinausgeht. Diese Prozesse müssen so moderiert werden, dass die Einwohner*innen auch für sich selbst einen Vorteil im Ausbau der erneuerbaren Energien finden können, etwa durch grüne und stabile Energieversorgung bei angemessenen Kosten.