Angelika Liebrecht, Expertin für Kinder- und Jugendbeteiligung, erzählt im Interview, wie man junge Menschen zum Mitmachen aktiviert – und warum Gemeinden und Kommunen nachhaltig davon profitieren können.
Was unterscheidet Kinder- und Jugendbeteiligung von der Partizipation Erwachsener?
Wenn ich jüngere Zielgruppen an einem Vorhaben beteilige, sollte ich mich darauf einlassen, dass Dynamiken entstehen, die ich vorher nicht einkalkuliert habe. Ich muss zudem mit einer Kurzlebigkeit und Spontanität rechnen. Für manche Kinder und Jugendliche ist es anstrengend, sich einen ganzen Tag auf ein Thema einzulassen. Ich empfehle, abwechslungsreiche Methoden und Formate auszuwählen, damit sie am Ball bleiben.
Wie gelingt es, das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Beteiligungsangeboten zu wecken und fürs Mitmachen zu aktivieren?
Bewährt haben sich kompakte Formate: Am wirkungsvollsten ist bei offener Beteiligung ein Tag oder z.B. eine Ferienaktion. Sie brauchen ein attraktives Thema, das die Jugendlichen selbst betrifft. Alles andere wird kein Interesse wecken. Das Thema Skaten ist zum Beispiel sehr beliebt: geschützte Räume und Treffpunkte dafür zu schaffen. Ein Tipp: Veranstalten Sie eine Planungsparty in einem überschaubaren Rahmen – und stellen Sie für die Kinder leckeres Essen und Getränke zur Verfügung.
Kinder- und Jugendbeteiligung bedeutet für ein Vorhaben zusätzliche Zeit, Kosten und Personal. Was ist der konkrete Nutzen, die diese „Kosten“ rechtfertigen?
Wenn ich die Partizipation verantwortungsvoll umsetze, binde ich die jungen Menschen idealerweise an einen Ort: Wenn sie positive Erfahrungen machen, sich gehört und gesehen fühlen, kommen sie wahrscheinlich auch gern wieder zurück. Davon können Gemeinden und Kommunen profitieren.
Auf Spielplätze und öffentliche Plätze bezogen: Wenn ich diejenigen beteilige, die es betrifft, habe ich im Ergebnis eine höhere Akzeptanz und weniger Vandalismus. Es ist bewiesen: Wenn Kinder und Jugendliche einen öffentlichen Schulhof mitgestalten, wächst das Verantwortungsgefühl für diesen Ort. Denn es handelt sich dabei um ihre eigenen Ideen. Dadurch ist die Identifikation mit dem Ort größer.
Expert*innen von Kinder- und Jugendpartizipation verweisen oft darauf, dass Beteiligungsangebote für diese Zielgruppe mit einer hohen Ernsthaftigkeit durchgeführt werden müssen, damit nicht schon frühzeitig das Vertrauen in Politik und Verwaltung gefährdet wird. Was hat es damit auf sich?
Die Ernsthaftigkeit ist bei einem Beteiligungsprozess von Kindern und Jugendlichen elementar! Ich bin als Erwachsene*r dafür zuständig, die strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen, ansonsten lasse ich die Kinder und Jugendlichen ins Leere rennen und bin sie für immer los. Das ist die große Herausforderung und Verantwortung, die Erwachsene in solchen Prozessen tragen. Kinder und Beteiligung ist kein Wunschkonzert. Ich muss klar wissen, bis wann die Umsetzung erfolgt ist, wie viel Geld steht zur Verfügung. Und wer genau dafür verantwortlich ist.
Wo sehen Sie notwendige Veränderungen, damit Kinder- und Jugendbeteiligung die Relevanz erfährt, die ihr zumindest in Hinblick auf Gesetze und Verordnungen schon heute zu Teil wird?
Wenn Kinder- und Jugendbeteiligung von den Verwaltungen selbst umgesetzt werden, müssen die Mitarbeitenden zunächst einmal dafür qualifiziert werden. Es müssen Stellen geschaffen sowie Zeit und Geld investiert werden – für die Projekte und die Menschen, die sie durchführen. Aktuell ist es in den Verwaltungen leider oftmals noch so, dass Kinder- und Jugendbeteiligung „on the top“ kommt.
Mit Blick auf Ihre Praxiserfahrung: Welche Situation(-en) gab es, in denen Sie selbst davon überrascht waren, welche Effekte bzw. welche Ergebnisse mit der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erzielt werden können?
Im Kinderwald Hannover, der seit 20 Jahren unter der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen von einer Brachfläche zu einem attraktiven Naturerlebnisraum und außerschulischen Lernort entwickelt wurde, habe ich viele Jahre eine Jugendgruppe geleitet. Was mich sehr berührt hat: Viele sind aufgrund ihrer Erfahrung im Kinderwald heute als Erwachsene politisch aktiv.
Andere sind aktiv im ersten Kinder- und Jugendbeirat des Deutschen Kinderhilfswerks e.V. gewesen. In einem Interview sagten sie einmal, dass sie im Kinderwald gelernt haben, dass ihre Meinung wichtig ist und ernst genommen wird. Und: Dass sie sich aufgrund dieser Erfahrung trauen, heute für ihre Belange und Interessen einzusetzen. Das hat mich sehr gefreut und beeindruckt.
Welche Botschaft oder welchen Wunsch möchten Sie an die Verantwortlichen, die über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entscheiden, senden?
Mir ist es sehr wichtig, eine gute Auftragsklärung zu machen. Gemeinsam mit den Auftraggebenden zu schauen: Was ist das Ziel der Kinder- und Jugendbeteiligung? Auf welcher Beteiligungsstufe befinden wir uns? Reicht es aus, Ideen zu sammeln oder wollen wir über einen längeren Zeitraum mitwirken lassen? Zudem die Rahmenbedingungen festzustecken und eine Verbindlichkeit festzulegen. Transparenz, Methoden und Haltung sind essenziell. Wenn ich diese Aspekte immer wieder überprüfe, habe ich eine gute Chance, dass die Beteiligung nachhaltig erfolgreich wird.
Über Angelika Liebrecht
Angelika Liebrecht ist Landschafts- und Freiraumplanerin und moderiert seit 20 Jahren unterschiedliche Partizipationsprozesse im Kontext von Spielleitplanung, Spielplatz- und Schulhofumgestaltung uvm.
Sie arbeitet für Unicef, berät Schulen zu Kinderrechten und ist Sachverständige für kinderfreundliche Kommunen e.V. Zudem bildet sie bundesweit Moderator*innen für Kinder- und Jugendbeteiligung aus und gibt Verwaltungen Fortbildungen zu den Themen Kinderrechte sowie Kinder- und Jugendbeteiligung.