Eva Kreienkamp, Geschäftsführerin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), spricht mit Lots* Geschäftsführerin Franziska Morgner über die Herausforderungen, das Geschlechterverhältnis im Unternehmen zu verändern, den Fahrplan der Hauptstadt agil zu machen und Wege nicht nur als Strecke zwischen A und B zu definieren.
Welche Verantwortung haben Frauen in Führungspositionen? Haben Sie das Bedürfnis, ein Vorbild zu sein? Oder gar das Gefühl, eins sein zu müssen?
Wir beschließen nicht eines Tages: Ab heute sind wir ein Vorbild. Es sind andere Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise an uns orientieren. Und so entsteht im Resultat tatsächlich etwas, an dem man sich orientieren kann – eine Art Vorbild – oder zumindest eine Idee davon, dass es bestimmte Möglichkeitsräume auch für einen selbst gibt. Alle Mädchen wissen jetzt zum Beispiel, dass sie Kanzlerin werden können. Als wir aufgewachsen sind, war das mit Sicherheit ein zu ausgefallener Berufswunsch.
Ist das eine schwere Bürde?
Ich sehe es eher als Auftrag, sich darum zu kümmern, unterrepräsentierte Gruppen als ganz normalen Bestandteil unserer Gesellschaft sichtbarer zu machen. Wenn wir mit all dem, was wir tun und für wichtig erachten, den nachfolgenden Generationen die Welt ein Stück besser machen, war unser Dasein sinnvoll und erfüllend. Ein Teil dieses Auftrags kann zum Beispiel sein, gute weibliche Nachwuchskräfte, die übersehen werden, sichtbarer zu machen oder andere unterrepräsentierte Gruppen, die nicht dem Mainstream entsprechen, im Unternehmen zu fördern und weiterzuentwickeln.
Ich habe in den vergangenen Monaten einen besonderen Auftrag wahrgenommen: Als Agentur mit 20 Mitarbeitenden – vier davon Mütter von kleinen Kindern – haben wir festgestellt, dass Care- Arbeit doch eher an den Frauen hängenbleibt. Mit viel Flexibilität haben wir versucht mehr Freiräume zu schaffen. Was können Sie als großes Unternehmen in so einer Situation leisten?
An sich haben wir die gleiche Situation. Bei der BVG arbeiten jedoch nur 20 Prozent Frauen. Es gibt aber auch einige Männer, die Care-Arbeit leisten. Im Unterschied zu früher, stellen wir uns daher alle die gleichen Fragen. Ich sehe darin die Möglichkeit, das Thema stärker ins Bewusstsein zu bringen. Wenn man als Führungskraft allerdings den Eindruck hat, dass sich Menschen „überheben“, weil sie versuchen alles miteinander zu jonglieren, muss man handeln und Lösungen anbieten. Die BVG hat ein weit verzweigtes Netzwerk mit sehr engagierten Arbeitnehmervertretern in allen Bereichen des Unternehmens, die auf solche Themen schauen. Aus dem kollektiven Recht können und werden dabei oftmals individuelle Lösungen abgeleitet. In kleineren Unternehmen fehlt da oft noch die Flexibilität.
Vor welchen Herausforderungen stehen kommunale Unternehmen beim Thema Diversität?
Kommunale Unternehmen sind schon auf Grund ihrer Aufgaben und Standorte so vielfältig, dass allgemeine Aussagen nicht funktionieren würden. Lassen Sie mich eine konkrete Herausforderung benennen, die für alle Verkehrsunternehmen mit Sicherheit zutrifft: das Geschlechterverhältnis. Es gibt 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen auf der Welt. In Verkehrsunternehmen liegt das Verhältnis bei 80/20. Ja, das hat zum einen historische Ursachen. Noch bis weit in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es kaum Frauen in unserer Branche. Also gibt es im Sinne von Einstellungen und Nachfolgeorganisation einen großen Nachholbedarf, den man ganz bewusst steuern muss.
Gleichzeitig haben wir Themen rund um Sozialisation, vor allem Geschlechtersozialisation: Nicht alle Mädchen kommen auf die Welt und sagen „Ich will Busfahrerin werden oder Chefin einer großen U-Bahn-Werkstatt“. So haben wir in vielen unserer Berufe Schwierigkeiten, Azubis zu finden. Liegt vielleicht auch daran, dass wir uns in einer Welt bewegen, in der alle studieren „sollen“. Daraus resultiert leider oft auch eine Abwertung von erlernter Arbeit und einer damit verbundenen Aufwertung von studierter Arbeit. Und das ist ein Problem, dem wir mit guten Informationen und attraktiven Berufsbildern entgegenwirken müssen. Eine andere Herausforderung für uns ist die Altersstruktur. Wenn man sich die Demographie im Unternehmen anschaut, findet man eine Lücke im Mittelbau. Angesichts dieser Entwicklungen sind wir auf qualifizierte Nachwuchskräfte angewiesen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Darüber hinaus geht es auch für uns als Verkehrsunternehmen darum, Arbeit zu verändern und weiterzuentwickeln. Dabei prallen oftmals Welten aufeinander, die hierarchisch und agil sind. Versuchen Sie mal einen Fahrplan für eine Metropole wie Berlin agil zu machen – und schon haben sie einen in sich verankerten Konflikt. Ein Fahrplan ist da und will abgefahren werden. Egal, ob agil oder nicht. Um dahin zu kommen, braucht es andere Möglichkeiten und Fähigkeiten, die dazugehörige Ablauf- und Prozessorganisation zu verändern. Dies zu verstehen, damit umzugehen und daraus zu lernen sind durchaus Herausforderungen für die Unternehmen.
Sind das unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben, die hier aufeinandertreffen?
Eher unterschiedliche Erziehung, Sozialisation und Leben. Das kann etwas mit Alter zu tun haben, muss es aber nicht. Letztendlich geht es um die Frage der Bereitschaft, Veränderungsprozesse als normal anzusehen – sich diesen zu stellen und Lösungen zu finden. Das kann gerade für kommunale Unternehmen, die ja sehr tradiert sind und langen Historien haben, herausfordernd sein.
Mit welchen Diversitätsdimensionen sind Sie in Ihrem Alltag konfrontiert?
Ganz klar mit dem Thema Gender, welches immer wieder neu definiert werden muss. Zudem mit sexueller Orientierung – im weitesten Sinne. Das liegt aber auch an Berlin. Die Stadt hat eine große LGBTQ-Community. Davon sind natürlich auch einige bei der BVG. Und das meine ich im positiven Sinne. Wenn die Stadt bunt und laut ist, ist die BVG es auch. Zudem beschäftigt uns das Thema Altersstruktur, so wie ich es bereits beschrieben habe, sowie die Themen Herkunft und Führung mit der Frage: Wie hoch ist der Anteil der Führungskräfte mit Migrationshintergrund?
Wir sind leider auf der Leitungsebene nicht so repräsentiert, wie die Stadt es hergeben würde. Wir sind einer der Garanten für Mobilitätsteilhabe aller Menschen unserer Stadt. Ich bin sehr froh, dass wir innerhalb des Unternehmens von Menschen mit Behinderung unterstützt werden, die aktiv in Planungen neuer Verkehrswege, neuer Fahrzeuge und Bauvorhaben einbezogen sind, Ansprechpartner für Verbände sind und uns konkret und anschaulich auf Probleme aufmerksam machen.
Haben Sie im Bereich Diversität ein Wunschthema, das in den nächsten fünf Jahren auf Ihrem Schreibtisch liegen sollte?
Ich wünsche mir, dass die Kommunalwirtschaft ein höheres Maß an geschlechtlicher Diversität erreicht. Gerade im Bereich Verkehr wird sehr aus der Ingenieurperspektive gedacht: Man muss von A nach B kommen, Hauptsache das Netz funktioniert und die Fahrzeuge haben technische Standards. Aber müssen wir wirklich alle nur von A nach B kommen? Gibt es nicht auch Menschen, die Zwischenstopps machen?
Ich finde, wir müssen uns dabei viel stärker klar machen, dass Wege unterschiedlicher Natur sein können: Manchmal sind es Ausflugswege oder Enkelbesuchswege, die mit Einkaufs- und Arbeitswegen kombiniert werden. Und, was ist überhaupt Mobilität? Für wen machen wir das? Ich würde es sehr gut finden, wenn sich ein höheres Maß an äußerer Repräsentanz der Städte auch innerhalb der Entscheidungsbereiche wiederfinden würde – auch bei der BVG. Um vielfältige Sichtweisen, eine höhere Wertschätzung dieser und innovative Problemlösungen hervorzubringen. Oder anders ausgedrückt: Mobilität so gut wie möglich für alle zu ermöglichen.
ZUR PERSON
Eva Kreienkamp übernahm zum 1. Oktober 2020 die Position der Vorstandsvorsitzenden der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Von 2015 bis 2020 hatte Kreienkamp die Position der Co-Geschäftsführerin der Mainzer Verkehrsgesellschaft inne.
Bild: BVG/Oliver Lang
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Juli-Ausgabe 2021 der Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK).