Damit hätten wir uns beinahe – ohne es zu ahnen – ganz schön in den Schlamassel geritten. Unser Ansinnen: Ab Anfang 2022, so unsere Jahresstrategie, entwickeln wir (die Gesellschafter*innen) Leitlinien für Lots*, wie wir Diversität leben können und wollen. Diversitätssensibilität und Chancengleichheit war/ist ein wichtiges Gründungsthema für uns als Führungs-Team, für alle Mitarbeitenden und wir beraten Kund*innen dazu.
Logisch, dass wir es auch für uns genau wissen wollen. Unsere Idee: Wir lassen uns extern beraten und moderieren und dann läuft das, wir sind doch Profis … denkste. Wir trafen uns jeden Monat, fanden immer wieder Grauzonen und blinde Flecken* und Schwuppdiwupp war ein Jahr vorbei.
Doch nun, Anfang 2023, sind wir kurz vor einem entscheidenden Punkt. Wir stellen in den nächsten Tagen unseren Mitarbeitenden die erarbeiteten Leitlinien vor und werden sie gemeinsam als Team ausfüllen. Mir ist ein wenig mulmig dabei. Ich hoffe, wir haben alles bedacht und nehmen alle mit. Die Gesellschaft ist divers, Lots*ist divers, aber was bedeutet denn das? Diese Frage jenseits von Klischees und vollmundigen Sprüchen individuell zu beantworten - ja, das ist eben nicht trivial und geht nur gemeinsam. Und es ist ein Prozess!
Im Zentrum des Prozesses steht unser Selbstverständnis, eine lernende Organisation zu sein. Die OECD veröffentlichte das sogenannte „4K-Modell“ für Lernende mit vier Kernkompetenzen für das 21. Jahrhundert. Eines der „K“ ist kritisches Denken (außerdem: Kooperation, Kreativität und Kommunikation). Hintergrund des Modells ist die Annahme, dass „die zu lösenden gesellschaftlichen Probleme mittlerweile so komplex sind, dass man sie nur noch mit kollektiver Intelligenz bewältigen kann“. Allerdings.
Was war unser Anspruch? Ein Dokument bzw. Leitlinien zu erarbeiten, konkret genug, um verstanden zu werden, offen genug, um es noch mit den Mitarbeitenden diskutieren und ausgestalten zu können. Ehrlich genug, um Grenzen und Chancen aufzuzeigen. Und sensibel genug! Denn wenn ich etwas sicher gelernt habe, dann das: Wir sind alle verschieden und in dieser Verschiedenheit unsicher und verletzbar. Und jeder hat einen Anspruch darauf, dass seine/ihre ganz persönlichen Erfahrungen respektiert werden, so wenig man diese selbst manchmal nachvollziehen kann.
Wir drei Gesellschafter*innen sind uns thematisch und menschlich sehr nahe und hatten dennoch viel Gesprächsbedarf. Das lag zum einen daran, dass es für eine Organisation wie unsere noch keine belastbaren längerfristigen best practises gibt und zum anderen, dass auch wir drei uns zu Definitionen und Auslegungen sehr kleinteilig und konkret verständigen wollten. Und an unserer Selbstreflexion: Sind wir uns der eigenen Privilegien bewusst? Sind wir uns der eigenen Diversitätsdimensionen bewusst?
Der Fisch stinkt?
Wir Führungskräfte haben viel Einfluss darauf, wie divers wir uns als Team entwickeln. Indem wir einen offenen und dennoch sicheren Rahmen schaffen, indem wir Vorbilder sind, Allies. Indem wir ehrlich sind, eigenes Unwissen akzeptieren, Unterschiede wertschätzen und möglicherweise einfordern.
Für mich war ein erster Schritt zu begreifen, dass es mich unglücklich und unzufrieden macht, wenn ich Veränderungen und Anderssein kontrollierend vermeide. Das baut Druck auf, den ich halten und das Gegenüber aushalten muss; Stress ohne wirkliche Belohnung am Ende. Dabei sind es genau diese Veränderungen, dieses Verschiedensten, was mein Leben würzt, mich glücklich macht und uns als Organisation viel nachhaltiger zu Erfolg verhilft. Ja, ich musste Zuhören lernen, Demut lernen und mich von einigen „das macht man so“-Glaubenssätzen verabschieden. Na und?
Wir gewinnen mehr Miteinander, mehr Verständnis, verlieren unangenehme Reibung und können persönlich wachsen.
Wir glauben daran, dass Menschen Veränderungen besser verstehen und mittragen, wenn sie diese mitgestalten …das ist unser Hintergrund nach außen (in Kund*innenprojekten) und nach innen (in der eigenen Organisationsentwicklung).
Ich habe in unserem eigenen Prozess noch mehr Verständnis dafür bekommen, wie schwierig es ist, sich als Organisation zu reflektieren, sogar dann, wenn man einander sehr gut versteht. Von dieser persönlichen Erkenntnis werden auch unsere Beratungsprojekte profitieren.
*Übrigens, die Wortgruppe „blinde Flecken“ ist diskriminierend. Wenn man das einmal gehört hat, versteht man sofort warum und kann es nicht mehr verwenden, oder?