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„HR muss Menschen begeistern, neue Dinge zu lernen“

Geschrieben von Caroline Günther | 25.01.2022

HR-Experte Gero Hesse erklärt im Interview, wie sich Unternehmen im Bereich der Personalentwicklung in den kommenden Jahren bewegen müssen, um auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren.

Neue Arbeitsformen fordern auch einen Wandel in der Personalentwicklung. Welche Anforderungen stellt dieser Wandel an Personaler*innen?

Wir haben es hier mit zwei Megatrends zu tun: Digitalisierung und demografischer Wandel. Die gesamte technologische Weiterentwicklung verläuft exponentiell. Das spüren wir auch im HR sehr deutlich. Zweitgenanntes führt zu einem wachsenden Fachkräftemangel und mittelfristig zu einem neuen Mindset – auf Mitarbeiter*in- und Arbeitgeber*inseite. Bei dem Wandel geht es nicht nur um Flexibilisierung von Arbeitszeit- und Ort, sondern um Werte und die Sinnhaftigkeit von Arbeit. Personaler*innen müssen sich zunehmend mit dem Thema Diversität auseinandersetzen. Vielfältige Perspektiven und Herangehensweisen sind unverzichtbar, wenn es um die Entwicklung von komplexen Lösungen geht. Es gibt demnach verschiedene Felder, die uns organisational fordern, wir benötigen aber auch die individuelle Bereitschaft, neugierig und offen für Neues zu bleiben.

Welche Sorgen und Probleme ruft die dieser Wandel im HR hervor?

Eine große Sorge von Menschen mit Personalverantwortung – das sage ich als Geschäftsführer von 200 Menschen – ist: nicht mehr „State of the Art“ zu sein, den Anschluss an die technologische Entwicklung zu verlieren. Wenn Produkte und Dienstleistungen den rasanten Entwicklungen nicht standhalten können, sind Unternehmen irgendwann bedeutungslos und werden überholt. Diese Sorge ist – mehr denn je – mit der Personalarbeit verbunden. Für den Wandel braucht es qualifizierte, Menschen, die wissensdurstig sind. Menschen, die wirklich Lust haben, mit neuen Technologien zu arbeiten. Durch die Schnelllebigkeit und Komplexität sind wir gefordert, Auszuprobieren und zu Experimentieren. Aber Achtung: Ohne die Erwartungshaltung, dass jedes Experiment ein Erfolg wird. Scheitern gehört dazu. Das ist auch gar nicht schlimm, wenn man daraus lernt und es beim nächsten Mal anders macht!

Was war dein persönlicher Aha-Moment im letzten Jahr?

Kleines Aha: Digitales Arbeiten funktioniert. Großes Aha: Das funktioniert sogar richtig gut! Dass es funktioniert, habe ich erwartet. Wir haben bereits vor der Pandemie im Unternehmen digital zusammengearbeitet. Dass es jedoch so gut funktioniert und wir in der Produktivität nicht abbauen, sondern teilweise sogar besser werden, habe ich nicht erwartet. Ein weiterer Aha-Moment: Es müssen nicht immer alle im Büro sein. Auf der Sachebene konnten wir dadurch sogar Geld einsparen, da wir unsere Büroflächen mittlerweile verkleinert haben.

Ich glaube, dass uns das letzte Jahr gezwungen hat, erwachsener mit unserem Arbeitsleben umzugehen – Grenzen klarer zu setzen. Denn: Wenn ich mir selbst keine Grenzen setze, besteht durch die Digitalisierung und die 24/7 Verfügbarkeit die Gefahr, von der Arbeit aufgesaugt zu werden.

Wie können Personaler*innen Mitarbeitende empowern, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen?

Das hat viel mit der Unternehmenskultur zu tun. Es ist wichtig, dass Personaler*innen aktiv mit den Mitarbeitenden in den Dialog treten und fragen: Was braucht ihr, um eure Rolle als XY gut zu erfüllen? Und noch viel wichtiger: Der Blick in die Zukunft. Welche Kompetenzen und Fähigkeiten braucht das Unternehmen, damit es auch in den nächsten drei Jahren erfolgreich ist? Wie wird sich die Branche entwickeln? Weiterbildungen enden übrigens an keiner Hierarchie-Stufe. Ich selbst habe gerade eine Fortbildung im Bereich SEO gemacht.

Wie gelingt es Personaler*innen auch ältere Mitarbeitende von der Relevanz von Weiterbildung zu überzeugen?

Ein*e Personaler*in muss Begeisterung für Neues wecken. Weiterbildung und Lernen kann schließlich richtig Spaß machen. Vor allem, wenn man die neu erlernten Fähigkeiten direkt in die Praxis einbringen kann. Damit Mitarbeitende als Ergebnis von Weiterbildung eine innere Befriedigung aus ihrer Arbeit ziehen können, müssen HRler*innen im Vorfeld fragen: Welche Fähigkeiten, Skills und Kompetenzen hast Du? Was wünscht du dir? Wenn Anerkennung und Bestätigung Triebfedern für unser leidenschaftliches Handeln sind, warum im beruflichen Umfeld darauf verzichten? Zudem bin ich der Ansicht, dass wir alle ein breiteres Verständnis von Weiterbildung entwickeln müssen. Weiterbildung ist auch: Ein*e Kolleg*in erklärt etwas und ich höre zu.

Wie sieht die Personalentwicklung der Zukunft aus?

Viele Entwicklungen der letzten Jahre sind durch den enormen krisenbedingten Veränderungsdruck in den Fokus geraten. Digitales Arbeiten ist in diesen Zeiten ein Muss – und zwar überall, wo es von den Arbeitsabläufen her möglich ist. In der Zukunft wird man auch in der Personalentwicklung wieder mehr ins Hybride gehen – also eine Mischung aus virtuellen und Präsenzformaten vorfinden.

Zudem wird es immer wichtiger, dass Personalentwicklungsstrategien im gesamtunternehmerischen Kontext betrachtet werden. Sie sollten der Frage nachgehen, welche konkreten Maßnahmen personalseitig erforderlich sind, um übergeordnete Unternehmensziele zu erreichen, den Unternehmenserfolg zu sichern und zukünftige Herausforderungen zu bezwingen. Um Weiterbildung im Individualdialog mit den Mitarbeitenden dahingehend anzupassen, wohin sich das Unternehmen entwickeln möchte, muss das unbedingt im Dialog mit der Leitungsebene geschehen. Dieses Vorgehen vermisse ich aktuell noch im HR.

Fachkräftemangel, Digitalisierung und lebensbegleitendes Lernen sind Themen, die die Personalarbeit bereits seit langem prägen. Welche Trends werden die nächsten zehn Jahre beeinflussen?

Die gleichen Megatrends, die ich eben schon aufgezählt habe (lacht). Dazu kommt die Unternehmenskultur als Wettbewerbsfaktor. Die Auswahl an Arbeitgeber*innen wird für gut qualifizierte Menschen immer größer. Die Art und Weise, wie eine Organisation mit ihren Mitarbeitenden umgeht, wird dabei eine zunehmende Rolle spielen. Unternehmen werden in Zukunft mehr Rücksicht auf die*den Einzelne*n und die persönliche Lebenssituation nehmen müssen. Dabei dämmert es den Unternehmen mehr und mehr, dass sie in einer multioptionalen Arbeitswelt nur noch dann wettbewerbsfähig sind, wenn sie in ihrem Unternehmen eine Kultur der Vielfalt schaffen, die ein Spiegelbild zur Vielfalt der Gesellschaft darstellt.

Gero Hesse ist Experte für Employer Branding, Recruiting, HR Startups und New Work. Er wurde in Deutschland bereits mehrmals zu den „40 führenden Köpfen im Personalwesen“ gewählt und ist gefragter Speaker rund um das Thema „Employer Branding“. Hesse ist Managing Director von Territory Embrace, der Employer Branding-Einheit der führenden deutschen Kommunikations- und Werbeagentur Territory. Neben seiner Tätigkeit bei Territory betreibt Hesse einen mehrfach ausgezeichneten Blog und Podcast „Saatkorn“, der Inspirationen für eine bessere Arbeitswelt liefern soll.