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„Es geht um alle Menschen“

Geschrieben von Jörg Müller | 23.09.2021

Praxistipps für Unternehmen: Verena Ott, Beraterin für Diversity und Antidiskriminierung bei Lots*, erklärt im Interview, warum Diversität kein Nischenthema ist und wie Führungskräfte Rassismus im Unternehmen erkennen und bekämpfen können. 

Wie oft hast du in deiner Arbeit als Diversity-Trainerin erlebt, dass Diversität missverstanden wird?

Oft! Die Sorge, dass es nur (noch) um Minderheiten geht, begegnet mir am häufigsten. Dabei geht es bei Diversität nicht allein um diskriminierte Gruppen, sondern um den Einbezug aller Menschen. Menschen der Mehrheitsposition, die ihre Privilegien und Macht reflektieren, haben die Möglichkeit, sich für andere einzusetzen. Zudem sind Krankheit und Behinderung beispielsweise Diversitätsthemen, die uns alle persönlich betreffen (können): Ich kann nächste Woche krank werden oder einen Unfall haben. Auch altbackene Geschlechterklischees beschränken alle Geschlechter.

Welche Diversity-Trainings eignen sich im Unternehmen für den Einstieg?

Die gute Nachricht ist, dass es konkretes Wissen zu dem Thema gibt: Was ist Diskriminierung? Wo beginnt sie und wie kann ich mich sensibel verhalten? Welche Dimensionen von Diskriminierung gibt es aufgrund von Alter, Geschlecht, sozialer und geographischer Herkunft, Behinderung, sexueller Orientierung. Es ist aber auch möglich, mit einem spezifischen Thema einzusteigen – zum Beispiel mit Geschlechtergerechtigkeit oder Migration und Rassismus.

Das Lernen über eine Diskriminierungsform ermöglicht einen Transfer zu anderen Formen. Othering* bzw. Ausgrenzungsmechanismen funktionieren ähnlich: Wenn einmal verstanden wird, dass sexistische Kommentare zum Aussehen einer Person nicht angemessen sind, ist es auch nicht okay, Witze über eine Person im Rollstuhl zu reißen. Ein relevanter Bestandteil von Diversity-Trainings ist deshalb die Sensibilisierung.

* Othering beschreibt einen Prozess, in dem Menschen als „Andere“ konstruiert und von einem „wir“ unterschieden werden. Im Gegensatz zum „wir“ werden die „die Anderen“ als Abweichung von der Norm abgewertet.

Was sollten Führungskräfte tun, wenn es zu einem rassistischen Vorfall im Unternehmen kommt?

Wichtig ist erst einmal, die betroffene Person und den Vorfall ernst zu nehmen. Führungskräfte sollten auch die rechtlichen Konsequenzen nutzen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet Arbeitgeberinnen dazu, ihre Mitarbeitenden vor Diskriminierung zu schützen. Deshalb sollten sie prüfen, ob Sanktionsmöglichkeiten wie eine Abmahnung oder gar eine Kündigung angemessen sind. Bei Mikroaggressionen ist es schwieriger, rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Mikroaggressionen sind etwas subtilere Kommentare und Fragen, die aber in der Summe auch Grenzen verletzen.

Insbesondere die Leitungsebene sollte sich fragen, warum es zu diesem Vorfall kommen konnte und warum keiner eingeschritten ist. Braucht das Team vielleicht einen Workshop oder professionelle Begleitung? Parallel sollte man die von Rassismus betroffene Person nach ihren Bedürfnissen unterstützen.

Was würdest du Menschen raten, deren Kolleginnen und Kollegen rassistische Witze reißen?

Nicht mitlachen! Und: Wenn es in einer größeren Runde vorkommt, die Möglichkeit ergreifen, sich zu positionieren, damit deutlich wird, dass es gegensätzliche Standpunkte gibt. Ein nächster Schritt könnte sein, den Kollegen oder die Kollegin beiseitezuziehen und sich darüber zu unterhalten. Ich würde versuchen, die Menschen zu einem Perspektivwechsel anzuregen: Wie würdest du dich in so einer Situation fühlen?

Was können Führungskräfte präventiv tun, damit es gar nicht erst zu Diskriminierungen kommt?

Da Diskriminierung leider ein strukturelles Problem ist, ist im Vorfeld wahrscheinlich bereits einiges passiert. Betroffene Menschen beschreiben eine Art Alltäglichkeit von Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit oder anderen Abwertungen. Zudem ist es nicht so, dass man eine Präventionsmaßnahme ergreift und dann ist das Thema vom Tisch. Aber es ist möglich, Prozesse der Auseinandersetzung anzuregen: Etwa eine Ansprechperson bzw. Antidiskriminierungsstelle im Unternehmen zu etablieren, die zuständig und ausgebildet ist, wenn es zu einem konkreten Fall kommt. Wichtig ist, dass Unternehmen eine klare Haltung zeigen. Dazu gehört die Verankerung im Leitbild, Trainings und Weiterbildungen.

Dieses Interview erschien erstmals in der September-Ausgabe 2021 der Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK).