Einmal Wissen vermitteln und alle sind sensibilisiert? Wie Diversity Trainings wirksam werden

20.02.2024 | Von Verena Ott | Diversity

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Wir bei Lots* bekommen regelmäßig Anfragen für Diversitätstrainings, Weiterbildungen, Schulungen von Unternehmen der Daseinsvorsorge. Für viele Entscheider*innen liegt nahe: Wie bekomme ich Diversität ins Unternehmen? Über Wissensvermittlung! Manchmal steht dahinter die Annahme, dass man Führungskräften das Thema gewissermaßen in einem Tag lang „antrainieren“ kann und dann schon das Wesentliche getan ist in Punkto Diversität. Dass es Weiterbildung zu dem Thema braucht, dazu stimme ich als Beraterin für Diversität und Antidiskriminierung komplett überein. Dass es mit einem Tag getan ist – wäre schön, aber entspricht nicht der Realität.

Diskriminierende Denk- und Handlungsmuster verlernen

Ich wiederhole seit Jahren bei jeder Gelegenheit: Um Diversität im Unternehmen voranzubringen und zu verankern, braucht es mehr Wissen über Vielfalt, Selbsterkenntnisse und ein Verlernen von diskriminierenden Denk- und Handlungsmustern. Erst wenn ich z.B. als Führungskraft weiß, welche Diversitätsdimensionen es gibt, kann ich Konflikte im Team besser verstehen, mich um benachteiligte Mitarbeitende adäquat kümmern und informierte Entscheidungen treffen. Damit bin ich der Komplexität und Überforderung die Vielfalt für manche bereithält, nicht ausgeliefert, sondern bleibe für die Herausforderungen unserer Zeit handlungsfähig. Als Mitarbeiterin kann ich z.B. mit anderen achtsamer kommunizieren, wenn ich weiß, was Mikroaggressionen sind. Diskriminierende Verhaltensweisen kann ich erkennen und verlernen.

Wenn ich Trainings konzipiere, verstehe ich Wissen nicht nur als Faktenwissen (Welche Diversitätsdimensionen gibt es?), theoretisch fundierten Input (Wo beginnt Diskriminierung?) und Zusammenhänge (Was braucht es, damit diverse Teams leistungsstärker sind?). Sondern als Selbstreflexion:

Wo stehe ich als Mitarbeiter*in, Führungskraft oder Geschäftsführer*in eigentlich bei dem Thema? Welches Wissen zu Vielfalt habe ich und woher? Wo bin ich selbst benachteiligt oder privilegiert und wie wirkt sich meine Position möglicherweise auf meine Arbeit und mein Führungshandeln aus? Das beinhaltet schon für viele einen Perspektivwechsel.

Was man an einem Tag erreicht

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich leite wahnsinnig gerne Trainings und gebe Fachvorträge zu den Wissensgrundlagen. Man kann an einem Tag Training einiges erreichen: Grundlagen schaffen, ein gemeinsames Verständnis kommunizieren und eine positive Erfahrung zum Thema Diversität herstellen. Nach dem Training sehe in den Augen der Teilnehmenden oft Aha-Effekte:

  • Aha, das gehört also alles noch zu Diversität außer dem Gendersternchen.
  • Aha, es geht nicht nur um Minderheiten, sondern um alle Menschen.
  • Aha, es ist wirklich notwendig für die Zukunft meines Unternehmens.
  • Aha, das war eine Mikroaggression, was mir neulich widerfahren ist.
  • Aha, ich kann als Führungskraft intervenieren.

Eine Führungskraft aus einem Verkehrsunternehmen beschrieb es mal so: „Nach diesem Training kann ich festhalten, dass ich künftig mehr auf die Bedürfnisse meiner Mitarbeitenden eingehen werde.“ Ein Teamleiter aus einem Stadtwerk resümierte: „Ich werde achtsam und mit Bedacht das Thema Diversität leben und insgesamt mehr hinterfragen.“ Für mich ist damit der Schritt zu einer Grundsensibilisierung geschafft. Ich freue mich, wenn Führungskräfte sich für das Thema öffnen, sich interessieren, begeistern und etwas konkretes für ihr Führungshandeln mitnehmen.

Von der Sensibilisierung zur Veränderung

Der zweiten Annahme – dass mit einem Training das Wesentliche getan ist für Diversität – muss ich jedoch aus meiner Erfahrung und dem, was die Forschung als bewährte Praxis empfiehlt, widersprechen. Ich würde sogar noch zuspitzen, dass es kontraproduktiv sein kann: Stellen Sie sich vor, die oben genannte Führungskraft geht zurück in ihr Team und macht deutlich, dass sie für Diskriminierung und Diversitätsthemen ansprechbar ist. Super! Und es wird tatsächlich klar, dass es einen Fall von Diskriminierung gibt. Die Führungskraft möchte es richtig machen und sich Hilfe holen.

Wenn dann aber z.B. im Compliance nicht klar ist, wie kompetent mit dieser Situation umgegangen wird, wenn es kein gerichtetes Verfahren mit Prozessschritten zur Orientierung gibt, dann läuft das entweder in Leere oder schlimmstenfalls findet ein anstrengender bzw. Diskriminierung reproduzierender Prozess für betroffene Person statt. Die Kosten davon für alle Beteiligten sind hoch.

Um nachhaltig Veränderungen zu verankern und in der Kultur etwas bemerkbar zu verändern, braucht es aber mehr. Die Erfahrung zeigt, dass Einzelmaßnahmen und alleinstehende Trainings ohne strategische Einbindung in einen Veränderungsprozess nicht wirksam werden und Effekte eher verpuffen.

Fünf Ideen für wirksame Veränderung im Unternehmen

Sensibilisierung ist ein wichtiges Element, aber eben einmalig und alleine stehend nicht genug. Deswegen teile ich hier meine fünf Ideen, wie Diversity-Trainings für Veränderung im Unternehmen wirklich wirksam werden.

1) Kontinuität durch kontinuierliche interne Kommunikation schaffen:

Sie können das Thema und die Erwartungen, die für Mitarbeitende damit verbunden sind, immer wieder in Erinnerung rufen und eine Geschichte erzählen, warum das für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens relevant ist.

2) Reflexion und Lernen für Entscheider*innen und Verantwortliche ermöglichen:

Sie können den Multiplikator*innen einen Wissensvorsprung verschaffen und z.B. Kenntnisse in Change-Management oder Handlungsfähigkeit beim Umgang mit Widerständen und Gegenwind aufbauen.

3) Vertiefung in Anschlussformaten weiterdenken:

Sie können weiterführende zielgruppenspezifische Angebote schaffen, z.B. Weiterbildungs- und Reflexionsformate für einzelne Abteilungen, Lernwerkstätten zum Thema oder diversitätsorientierte Teamentwicklung anbieten.

4) Veränderungsimpulse nachprüfen:

Sie können konkrete Anforderungen und eine Erwartungshaltung an die Teilnehmenden der Trainings formulieren und dazu im Anschluss befragen, z.B. in Personalgesprächen für Führungskräfte.

5) Abläufe und Strukturen nach Bedarf anpassen oder aufbauen:

Sie können Bedarfe von Teilnehmenden aus den Trainings aufnehmen und entsprechend an den Strukturen verändern, z.B. professionelle Ansprechsstrukturen für Diskriminierungsfälle aufbauen, Arbeitskreise und Employee Resource Groups ins Leben rufen u.v.m.

Diese Ideen können Sie dabei unterstützen, Trainings wirksam zu machen. Und Veränderungen nicht nur anzuregen, sondern auch zu verankern. Das geht nicht von heute auf morgen – aber beginnt heute mit einem Perspektivwechsel: Diversitätstrainings sind Teil eines Veränderungsprozesses in der Organisation. Bei Lots* haben wir angrenzende Bausteine für diesen Prozess rund um die Trainings für uns definiert. Diversität ist für uns kein reines Personalentwicklungsthema, sondern ein Organisationsentwicklungsprozess.

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Verena Ott

Verena Ott ist Beraterin für Diversität und Antidiskriminierung bei Lots*. Mit Fachwissen, Verständnis für Irritationen und vor allem gelebter Begeisterung für das Thema begleitet sie Organisationen auf ihrem Weg hin zu mehr Vielfalt und Chancengleichheit. Kontaktieren Sie Verena gern, um zu brainstormen, was der nächste Schritt in Ihrer Organisation sein könnte.

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