Als ich neulich einen Diversity-Workshop für obere Führungskräfte eines kommunalen Unternehmens moderiert habe, entwickelte sich eine Dynamik, die die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Diversität in den Fokus rückte: Die einen gegen die anderen, die vielen Anforderungen und die Schwierigkeiten überhaupt noch Mitarbeitende zu finden.
Verständlich, doch redeten sich die Führungskräfte (die sonst ihren Laden bestens im Griff haben) bei dem Thema in eine Problemschleife. Im Coaching ist mir dafür der Begriff „Problemtrance“ begegnet. Er bedeutet, dass ich aus der Identifikation des Problems nicht mehr herauskomme. Ich machte ich die Teilnehmenden auf meine Beobachtung aufmerksam und bat sie in die Lösungsorientierung zu gehen. Und siehe da, es funktionierte.
Es gibt Lösungen für die Herausforderungen mit Vielfalt – und Vielfalt ist für manche Herausforderungen eine Lösung! Es erfordert manchmal einen Wandel in der inneren Haltung, nicht nur Probleme, sondern auch Lösungsansätze zu sehen. Diese Begegnung nahm Lots* zum Anlass Problem- und Lösungsorientierung als festen Bestandteil in die Führungskräftetrainings aufzunehmen.
Die Auseinandersetzung mit Diversität und Diskriminierung kann verschiedene Stufen oder Phasen durchlaufen, die von Ignoranz und fehlendem Problembewusstsein bis hin zu Awareness und Handlungsfähigkeit reichen. In der Beratung mit Unternehmen der Daseinsvorsorge beobachte ich folgendes:
Phase 1: Fehlendes Problembewusstsein
In der ersten Phase ist sich die Person nicht bewusst, dass Diskriminierung ein Problem darstellt oder dass sie selbst daran beteiligt sein könnte. Es fehlt das Verständnis für die Bedeutung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Diskriminierung. Beispielhafte Sätze, die in dieser Phase fallen:
In der ersten Stufe gibt es kein Problembewusstsein, teilweise aber Ignoranz. Natürlich sind Menschen Individuen und mehr als ihr Diskriminierungsmerkmal und sollten nach ihrer Leistung bewertet werden. Aber es gibt Erfahrungen, die in der Unternehmenswelt damit einhergehen, z.B. Schwarz, Lesbisch oder Behindert zu sein. Diese Hürden werden übersehen. Sie zu ignorieren, geht an zeitgemäßer Mitarbeitendenführung vorbei. Oft hängt damit ein verengtes Diskriminierungsverständnis zusammen, das nur als verbale oder körperliche Gewalt oder Beleidigung als Diskriminierung versteht, aber strukturelle Benachteiligung und Mikroaggressionen verkennt. Wenn aber alle gleichbehandelt werden, kann das dazu führen, dass die Privilegierten nur noch mehr Vorteile genießen.
Manchmal ist das ein Reflex darauf, mit den vielfältigen Herausforderungen überfordert zu sein. Ich habe größtes Verständnis dafür, wenn Führungskräfte sagen: Das kann ich jetzt nicht auch noch alles leisten. Manchmal ist es aber auch fehlendes Wissen darüber, wie Diversität und Diskriminierung definiert werden und was verantwortungsvolles Führen heute heißen kann.
Phase 2: Problemorientierung
Die zweite Stufe bezeichne ich als Problemorientierung. Es ist wichtig, Probleme zu erkennen, analysieren zu können und Begriffe dafür zu haben. Je präziser wir sie benennen, desto besser (z.B. Mikroaggressionen, Gender Pay Gap, Homophobie).
Wenn ich z.B. Frauen in der Kommunalwirtschaft einen sicheren Raum zur Verfügung stelle und nachfrage, bekomme ich Geschichten von sexistischen Kommentaren, verbalen Übergriffen und unfairer Behandlung zu hören. Wenn ich genau hinhöre, bekomme ich folglich auch etwas zu tun. Die Diversitätsdimensionen helfen mir, Probleme zu erkennen und zu benennen – und jetzt? Wenn man das Privileg hat, sich zum ersten Mal mit Diskriminierung zu beschäftigen, sieht man „plötzlich“ überall das Thema.
Ich bin ehrlich: In dieser Stufe gehen viele Fässer auf. Es wird klar, dass Diskriminierung nicht nur im Verhalten stattfindet, sondern auch in den Strukturen, Verfahren, Abläufen und Formalien. In Unternehmen, die sich damit beschäftigen wollen, gibt es viel zu tun, z.B. Ansprech- und Beschwerdestrukturen aufzubauen, Führungskräfte zu sensibilisieren, das Recruiting umzubauen, die interne Kommunikation dazu aufzubauen.
Problemorientierung ist wichtig, um Herausforderungen anzuerkennen, benennen und verstehen zu können. Das ist ein wichtiger Schritt zur Veränderung. Wenn das zu viel wird, kann es manchmal sogar zu Handlungsunfähigkeit aufgrund von Überforderung führen. Oder eine wie oben beschriebene Problemtrance auslösen.
Phase 3: Problembewusstsein und Handlungsfähigkeit
In der dritten Phase geht die Person von Passivität zur Handlung über. Sie setzt sich im besten Falle gezielt für die Bekämpfung von Diskriminierung ein, sei es im eigenen Führungshandeln oder in der Weiterentwicklung des Themas auf Organisationsebene. Es ist klar, dass die Auseinandersetzung mit Vielfalt und Diskriminierung nie aufhört.
Diese Stufe erkennt man an Sätzen wie:
Achtung, vorschnelle Lösungen, ohne z.B. Betroffene zu fragen und in den Prozess einzubeziehen, können nach hinten losgehen. Wenn ich nur in Sofortlösungen denke und mir keine Zeit nehme, das Problem in Ruhe zu analysieren oder auch erstmal zu spüren, was es mit mir macht, fehlt etwas. Eine einfache Lösung gibt es leider meistens nicht.
Wer das Problem benennt, wird zum Problem
Es gibt eine weitere Form der Problemfokussierung, die mir im Diversity-Kontext begegnet. Ich bezeichne sie als Problemverschiebung: Diskriminierende kommunikative Dynamiken führen dazu, dass die Personen, die ein Problem ansprechen, selbst zum Problem gemacht werden. Sie werden als Nestbeschmutzer*in, Spielverderber*in, Mimose, Emanze etc. verleumdet, obwohl sie einerseits sich selbst schützen und auch den Arbeitsplatz zu einem sicheren Ort machen wollen. Man nennt das Täter*innen-Opfer-Umkehr (englisch: victim blaming, Beschuldigung des Opfers). Auch aufgrund dieser Problemverschiebung ist es manchmal schwer, Diskriminierung zu bekämpfen.
Auch Gleichstellungsbeauftragten und Verantwortlichen für Diversität wird manchmal vorgeworfen, dass sie Probleme übertreiben oder sich wichtig zu machen. Dabei sind sie diejenigen, die das Wissen haben, was tatsächlich in der Organisation vorfällt. Das nicht zu benennen, macht es nicht besser.
Als Referentin zu dem Thema wurde mir schon vorgeworfen, Probleme, die es gar nicht gibt, herbeizusehnen. Ich wünschte, es wäre so. Aber Vorurteile, Benachteiligung oder Ungleichbehandlung gibt es leider. Aus dem Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) geht hervor: Im Jahr 2022 haben sich so viele Bürger*innen an die ADS gewandt wie nie zuvor. Insgesamt 8.827 Beratungsanfragen zu Diskriminierung gingen bei der ADS ein. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Anfragen damit um 14 Prozent gestiegen, verglichen mit 2019 haben sie sich mehr als verdoppelt. Ich arbeite auf Basis von Daten und Forschung und mit einem theoretischen Verständnis von Diversität. Das ist, was uns gerade zur Verfügung steht, um Vielfalt bestmöglich zu leben und gut miteinander umzugehen.
Wenn Sie Diversität nur als Problem begreifen, fangen Sie erst gar nicht an, etwas zu tun und verpassen die Chancen, die für kommunale Unternehmen in einem vielfältigen Miteinander und einer inklusiven Arbeitsumgebung stecken. Aber auch mit vorschnellen Lösungsversuchen, die eher an der Oberfläche bleiben und nicht die Tiefe des Problems berücksichtigen, stoßen Sie an ihre Grenzen.
In der Realität finden die oben beschriebenen Phasen in Teams und Organisationen meist parallel zueinander statt. Wie auch bei anderen Change Prozessen in Unternehmen verläuft die Auseinandersetzung mit Diversität nicht linear.
Innerhalb einer Person gibt es verschiedene Anteile. Meiner ganz persönlichen Meinung nach braucht es für erfolgreiche Diversitätsorientierung in Organisationen eine Mischung aus den Kompetenzen Problembewusstsein (im Diversity-Kontext wird das Awareness genannt) und Handlungsfähigkeit mit einer gehörigen Prise Optimismus und Durchhaltevermögen. Was meinen Sie, dass es braucht?